Windkraft in Havixbeck – Wir beziehen Stellung

In den letzten Wochen haben uns kritische Stimmen zum Thema Windkraft in Herkentrup erreicht. Das wollen wir zum Anlass nehmen, unsere Sichtweise hier detailliert darzustellen, als eine Art „Offener Brief“ an diejenigen, die das aktuelle Vorgehen der Grünen Fraktion in Frage stellen

Die Situation der Windkraft im Gemeindegebiet und die damit verbundenen politischen Prozesse

Um die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet in geregelte Bahnen zu lenken, hat sich der Gemeinderat schon 2004 für eine Steuerungsplanung entschieden und im Bereich der Bauernschaft Natrup eine Windvorrangzone nach damaligen Standards ausgewiesen. Diese sollte gleichzeitig eine rechtlich bindende Ausschlusswirkung für alle Bereiche haben, die nicht als Konzentrationszone dargestellt wurden. Diese Planung ist mit dem Satzungsbeschluss der 23. Änderung des Flächennutzungsplanes (FNP) beschlossen worden.

Ab dem Jahr 2014 musste sich der Gemeinderat erneut mit der Anpassung des FNPs beschäftigen, um diesen an neue gesetzliche Vorgaben anzupassen. Unter anderem musste die vorhandene Windvorrangzone erheblich erweitert werden. Dazu hat der Gemeinderat bis zum 24.09.2015 die Inhalte der 29. Änderung des FNP erarbeitet. Um die gesetzlich geforderte Vergrößerung der Windvorrangzone zu ermöglichen, wurde in diesem Zuge Herkentrup als zusätzliche Konzentrationszone vorgesehen. Diese 29. Änderung des FNP ist dann jedoch nie durch den Rat beschlossen worden. Sie wurden stattdessen – mit den Stimmen von CDU, FDP und ehemaligem Bürgermeister – vor der Abstimmung von der Tagesordnung abgesetzt. Der nicht mehr gesetzeskonforme FNP ist demnach weiterhin in Kraft. Das bedeutet, dass die Gemeinde derzeit keine gesetzkonforme Möglichkeit der Steuerungsplanung für WKA hat. Oder anders gesagt: es können derzeit im gesamten Gemeindegebiet Bauanträge für WKA beim Kreis eingereicht werden und die Gemeinde hat keine Möglichkeit, dabei mitzureden!

Zusätzlich zum beschriebenen Mangel von 2014 bestehen aufgrund eines Offenlegungsfehlers Zweifel an der generellen Rechtmäßigkeit des 23. FNPs. Dieser Rechtsfehler wurde durch ein Urteil des OVG Münster in anderer Sache vom 06.12.2017 auch richterlich bestätigt. In der rechtlichen Konsequenz ist festzuhalten, dass die 23. Änderung des FNPs in mehrfacher Hinsicht nicht gesetzkonform und damit also anfechtbar ist.

2018 haben Investoren eine Genehmigung für drei Windenergieanlagen im Herkentrup nach Bundesimmissionsschutz-Gesetz (BImSchG) beim zuständigen Kreis Coesfeld beantragt. Im Sommer 2019 haben die Unterlagen öffentlich ausgelegen und es bestand Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine sehr große Anzahl von Einwendungen sind fristgerecht vorgetragen worden. Die Entscheidung, ob die Anlagen nach dem BImSchG genehmigungsfähig sind, obliegt damit einzig und allein dem Kreis Coesfeld als Genehmigungsbehörde. Wir als Gemeinderat dürfen die Entscheidung des Kreises durch ein Festhalten an unserem rechtswidrigen FNP nicht behindern.

Die aktuelle rechtliche Situation der Gemeinde und eine Erklärung zu der zeitnah angesetzten Abstimmung im Zusammenhang mit den juristischen Auswirkungen für die Gemeinde.

Aktuell befinden wir uns also in einer komplexen Rechtssituation, die zugegebenermaßen schwer nachvollziehbar ist. Es geht teilweise um juristische Feinheiten, die jedoch eine große Wirkung entfalten können. Auf der einen Seite wissen wir, dass der bestehende (im Sinne von „er ist noch da“) FNP Rechtsfehler hat, die im Falle einer Klage zu dessen Nichtigkeit führen. Auf der anderen Seite kann die Genehmigungsbehörde in Coesfeld unseren FNP nicht einfach übergehen und betrachtet diesen derzeit als Hindernis für die Genehmigungserteilung. Die Genehmigungsbehörde weist unsere Gemeinde jedoch ausdrücklich auf den Mangel hin und hat uns folgerichtig am 26.01.2021 aufgefordert, den fehlerhaften FNP aufzuheben. Gleichzeitig wurden wir darauf hingewiesen, dass, im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung, die Gemeinde Havixbeck in das Verfahren einbezogen würde. Im Ergebnis kann diese Auseinandersetzung zu Schadensersatzansprüchen gegen den Kreis und gegen unsere Gemeinde führen.

Nach der uns vorliegenden Interpretation der Rechtsauffassung hätte die Gemeinde spätestens 2018 tätig werden müssen, um den fehlerhaften FNP zu korrigieren. Das hat der Rat, wie geschildert, unterlassen und ist bewusst die o.g. Risiken eingegangen. Wir gehen davon aus, dass dieses Vorgehen mit der Hoffnung verbunden war, dass man das Genehmigungsverfahren so lange aussitzen könnte, bis sich die rechtlichen Bedingungen durch eine neue Landesgesetzgebung derart geändert haben, dass eine Baugenehmigung nicht mehr erteilt werden darf – vor allem wegen möglicher Abstandsregelungen.

Diese „Wette auf erfolgreiches Aussitzen“ kritisieren wir Grüne in Havixbeck schon lange. Wir halten dieses Vorgehen für rechtlich gewagt und sehen für die Gemeinde das Risiko, in hohe Schadensersatzforderungen einbezogen zu werden. Derzeit sieht es so aus, als würde die Gemeinde diese Wette bald verlieren. Diesen Aspekt müssen Rat und Bürgermeister bei ihren Entscheidungen ebenso berücksichtigen, wie das Wohl ihrer Bürger*innen. Es gilt finanziellen Schaden von der Gemeinde und damit von allen Bürgern abzuwenden. Wir sehen die kurzfristig angesetzte Abstimmung darüber als letzte Chance für eine Einigung außerhalb des Rechtsweges.

Der zeitliche Druck der vergangenen Tage und Wochen ist aus unserer Sicht dem bisherigen Verschleppen von Entscheidungen durch die Gemeinde geschuldet – und zwar durch das Nicht-Erteilen des Gemeindlichen Einvernehmens. Die Investoren drängen auf die Baugenehmigung bis April, da ihnen ansonsten weitere Einnahmeverluste drohen. Die Genehmigungsbehörde signalisiert, dass eine Entscheidung zeitnah getroffen werden könnte, sobald die formalen Voraussetzungen (Nicht-Anwendung des unrechtmäßigen FNPs und Erteilen des gemeindlichen Einvernehmens) durch die Gemeinde Havixbeck geschaffen sind.

Wenn jedoch, durch weitere Untätigkeit der Gemeinde und trotz besseren Wissens, den Antragstellern Schaden entsteht, werden diese gegen die Genehmigungsbehörde klagen und der Kreis wird versuchen, die Gemeinde in etwaige Schadensersatzzahlungen einzubeziehen. Wir haben es aus diesen Gründen auch 2020 für falsch gehalten, dass die Gemeinde das Gemeindliche Einvernehmen versagt hat, da die Konsequenzen absehbar waren.

Die politische Position unserer Grünen-Fraktion zum Thema Windkraft im Gemeindegebiet

Abgesehen von der speziellen rechtlichen Situation des Genehmigungsverfahrens, haben wir natürlich eine politische Meinung zum Thema Windkraft und zu den oft angesprochenen Abstandsregeln. Eines unserer wichtigsten politischen Ziele ist es, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. So ist auch unser Ziel zu verstehen, eine ausgeglichene, grüne Energie-Bilanz für Havixbeck herzustellen. Dafür bieten sich die Mittel „Energie sparen“ und „grüne Energie bereitstellen“ an. Beim Thema Windkraft geht es uns darum, dass grüner Strom im Gemeindegebiet produziert werden soll, um einen Havixbecker Beitrag zum Klimaschutz zu ermöglichen. Das heißt: Wir wollen und wollten Windkraft im Gemeindegebiet und stehen auch zu dieser Position. Die geplanten Windräder können genug Strom erzeugen, um Havixbeck dem Ziel der „Energie-Autarkie“ erheblich näher zu bringen.

Die 1.000 m-Abstandsregel halten wir für kein valides Gegenargument. Diese Abstandsregel ist kein „Eingeständnis“, dass geringere Abstände zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Vielmehr ist sie eine politische Entscheidung der Landesregierung, den Bau weiterer Windenergieanlagen in NRW zu erschweren. Es geht es der Landesregierung dabei nicht um strittige gesundheitliche Aspekte, sondern darum, „die Akzeptanz der Windkraft in der Bevölkerung zu erhöhen.“ Diesen Ansatz der Akzeptanzsteigerung durch Verhinderung halten wir allerdings für einen Widerspruch in sich. Für nicht existente Windräder braucht man schließlich keine Akzeptanz. Wir sind der Meinung, dass durch diesen Ansatz die dringend notwendige Energiewende verhindert wird.

In diesem Zusammenhang möchten wir ausdrücklich betonen, dass uns die Gesundheit der Havixbecker Bürger*innen sehr am Herzen liegt. Wir sehen diese jedoch nicht durch die geplanten WKA gefährdet. Als bedrohlich empfinden wir den mittlerweile rasant verlaufenden Klimawandel, der unsere Umwelt, unsere Lebensgrundlage und die Gesundheit heutiger und zukünftiger Generationen massiv bedroht. Deshalb sind wir dafür, dass auch Havixbeck endlich einen Beitrag zum Klimaschutz leistet.

Um diesen Beitrag möglichst bürgernah und anwohnerfreundlich zu gestalten, wirken wir politisch schon seit vielen Jahren auf eine aktive Rolle der Gemeinde im Hinblick auf die Nutzung der Windkraft hin. Unsere Vorschläge dazu wurden durch die bisherigen Ratsmehrheiten stets zurückgewiesen, obwohl die Notwendigkeit einer Energiewende unbestritten ist. Ein wichtiger Schritt zu einer selbstbestimmten Entwicklung der Windkraft im Gemeindegebiet wäre bspw. die frühzeitige Erneuerung des FNPs unter Einbeziehung der Bürger*innen gewesen.

Folgerichtig haben wir uns entschieden, die bestehenden Formfehler zu beseitigen, das Instrument der Steuerungsplanung wieder aufzugreifen und wieder handlungsfähig zu werden. Dieses Vorgehen halten wir für den einzig verantwortbaren Weg. Wer gegen das gemeindliche Einverständnis stimmt, nimmt grundlos drei große Nachteile in Kauf:

  1. Auf absehbare Zeit deutlich weniger erneuerbare Stromerzeugung im Gemeindegebiet
  2. Ein hohes finanzielles Risiko für die Gemeinde
  3. Keine Einflussmöglichkeit auf die Verteilung von WKA im Gemeindegebiet